Seit 1989 ist mein Leben eng mit politischem Engagement verbunden. Kein Wunder: Wenn Du 1989 20 Jahre alt bist und total aufgewühlt von Perestroika, Glasnost und Gorbatschow und all das siehst, was in der DDR so furchtbar schiefläuft, dann bist Du dabei, wenn sich die Gelegenheit bietet. So war es auch bei mir. Seit dem Tag Anfang Oktober, als am Dresdner Hauptbahnhof die Steine flogen und der VoPo-Lada brannte, bin ich mittendrin statt nur dabei. Weil liberal frei bedeutet, mir das Neue Forum und Demokratie Jetzt zu alt und zu kirchlich geprägt waren, wollte ich was für junge Leute machen und wurde einer der Gründer der Jungliberalen Aktion (JuliA) in Dresden und in Sachsen, war deren erster Kreisvorsitzender und einige Jahre auch Landesvorsitzender.

Damals machte der Jugendverband noch das, was junge Leute im Allgemeinen so tun – weniger Volksreden und weniger Papier vollschreiben. Mehr coole Aktionen und nicht so brav, eben Sachen, die Ältere nicht mehr tun. Ein großer Hilfstransport im Wert von 50.000 DM, den wir als junge Leute einfach so 1995/1996 von Dresden aus für Waisenkinder in Sarajevo nach dem Ende des Bosnienkrieges auf die Beine stellten und der mich und viele andere Jungliberale mehrfach in das total zerstörte Land brachte, ist neben der Ereignissen 1989/90 lebensprägend geworden. Bis heute. Als ich 2022 mit den Freunden von damals und der FDP-Stadtratsfraktion erneut eine Hilfsaktion auf die Beine stellte und drei Busse der Dresdner Verkehrsbetriebe nach Butscha in der Ukraine brachte, hatte ich ein Déjà-vu. Butscha, Hostomel, Irpin und Borodjanka sahen aus wie Sarajevo damals. Furchtbar, was Krieg anrichtet. 

Holger Zastrow

1993 trat ich in die FDP ein. Für mich war das ein logischer Schritt. Die friedliche Revolution war eine Freiheitsrevolution. Es ging um Freiheit. Die FDP war die Partei der Freiheit. Also…! Dass die FDP den Freiheitsbegriff und vor allem die Leute, die sie mit diesem Begriff verband, dann doch etwas enger fasste, musste ich lernen. Als Ostdeutscher verstehe ich das bis heute nicht. 

In der Partei kam ich sehr schnell in alle möglichen Funktionen. Es gab damals aber auch recht wenige junge Leute. Vielleicht lag es aber auch daran, dass wir wenigen immer Gas geben haben. „Einfach machen“ war schon damals meine Devise und das gefiel auch den Älteren. 

Besonders 1999, als sich plötzlich und unerwartet mal wieder eine Lebensweiche stellte. Die FDP schaffte den Einzug in den Sächsischen Landtag erneut nicht. Die Partei war führungslos. Ende des Jahres wurde sie auf 0,8 Prozent taxiert. Ich sehe den Morgenpost-Artikel noch vor mir. Wir Jungen wollten der Partei Zeit geben, ein Team und ein Überlebenskonzept zu entwickeln. Die Partei wollte nicht warten und sofort eine neue Führung wählen. Als ich morgens in Pullover und Jeans zum Landesparteitag nach Döbeln fuhr, ahnte ich nicht, dass ich am Abend Landesvorsitzender sein würde. Mit gerade einmal 30 Jahren. Die Stunden dazwischen haben über mein weiteres Leben entschieden, was ich damals nicht wusste, aber wohl ahnte. Denn ich hatte mich mehrfach gegen den Wahlvorschlag „Zastrow“ gewehrt. Ich wollte natürlich mitmachen, aber nie und nimmer Chef sein. Das habe ich mir weder zugetraut noch für eine gute Idee gehalten. Denn meine junge Firma war damals in schwerem Fahrwasser und darauf wollte ich mich konzentrieren. 

Am Ende war es Guido Westerwelle, der mich nach drei „Neins“ meinerseits überzeugte, einmal „Ja“ zu sagen. Es war alles irgendwie unwirklich und skurril. Aber am Ende war ich Chef und blieb es 20 Jahre lang, was in der bundesdeutschen Geschichte wohl nur höchst selten vorkommt. Einige Jahre war ich auch stellvertretender Bundesvorsitzender und was weiß ich nicht noch alles. 

In diesen 20 Jahren ging es für die sächsische FDP hoch hinauf und auch wieder runter. Für alles trage ich die Verantwortung, wenngleich eine Betrachtung der Umstände lohnen würde. Aber das machen wir vielleicht einmal an anderer Stelle. 2004 schafften wir den Einzug in den Landtag, 2009 mit 10 Prozent ging es sogar in die Landesregierung. Unser Aufstieg hängt natürlich eng mit dem der Westerwelle-FDP in dieser Zeit zusammen. Aber auch mit einer sehr eigenen Art, die wir als Sachsen-FDP pflegten, den „sächsischen Weg“. Bodenständiger, volksnäher, prinzipienfest und nicht so selbstverliebt würde ich mal sagen. Mit einer klaren ostdeutschen Fokussierung. Und wir waren keine Berufspolitiker. Das unterschied uns damals und unterscheidet mich schon immer. 

Die Zeit der schwarz-gelben Landesregierung war rückblickend so mittel, im Vergleich mit den Zuständen heute war sie fantastisch. Auch wenn wir Lehrgeld zahlen mussten. Ich hätte Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident werden sollen. Was ich aber nie wollte (und auch im Wahlkampf immer so gesagt hatte). Ich hielt mich mit 40 damals einfach für zu jung für so ein Amt, zu unerfahren, zu kurz in der professionellen Politik, zu wenig fachlich versiert. Solche Gedanken hat heute niemand mehr, ich weiß. Aber ich hatte sie und finde sie immer noch richtig. Außerdem wollte ich mich mit 40 nicht mit Haut und Haaren an die Politik verkaufen und mein Unternehmen und das, was ich unter Schmerzen aufgebaut hatte, und das mir bis heute meine Unabhängigkeit sichert, behalten. Außerdem: Ich und Bürokratie, diese ganzen Rituale und Regeln – das passte irgendwie gar nicht zu mir. Nun, die Geschichte wird das beurteilen. Fakt ist aber auch, wäre ich damals in die Berufspolitik und ein Staatsamt gewechselt gebe es keine Hofewiese. Also alles richtig gemacht.:-)

Wir haben im Kabinett Tillich lernen müssen und hätten 2014 die Regierungsbeteiligung womöglich nicht halten können. Dass wir aber aus dem Landtag rausfliegen würden, ist ein Kollateralschaden des Scheiterns der FDP im Bund. 2013 flog die FDP erstmals in der Geschichte aus dem Bundestag. Wir stemmten uns gegen das gleiche Schicksal, schafften es – fast. Als Liberaler weiß man um den Sog der Berliner Politik und selbst als relativ selbständiger Landesverband gelang es uns nicht, uns davon freizumachen. 

Über die Gründe des Scheiterns in Berlin habe ich meine Meinung, aber auch das gehört nicht hierher. Hierher gehört, dass die FDP Sachsen damals noch so robust war, dass wir und auch ich weitermachten und die Scharte 2019 auswetzen wollten. Vielleicht war dieses Weitermachen ein Fehler. Denn die Partei hatte sich unter der neuen Führung Berlin erheblich verändert auch mit Auswirkungen auf einen so robusten, stabilen und übrigens auch wirtschaftlich topfitten Landesverband wie Sachsen. Jedenfalls folgten lange Zeiten der Selbstbefassung und der Streitereien. Ich gab trotz allem mein Bestes, selbst zu außerparlamentarischen Zeiten standen wir bis kurz vor der Wahl bei 5 oder 6 Prozent. Aber umso näher die Wahlen kamen, umso größer wurden die innerparteilichen Konflikte. Wir waren einfach kein Team mehr und am Ende kostete entscheidenden Prozentpunkte, da bin ich mir sicher. Gerade einmal 0,2 Prozent fehlten. 

Nach der Wahl trat ich zurück. Seither bin ich „nur“ noch kommunalpolitisch aktiv, 2004 schaffte ich nämlich auch den Sprung in den Dresdner Stadtrat und war dort seit 2007 bis zum 1. Februar 2024 Fraktionsvorsitzender der FDP-Stadtratsfraktion. Dresden ist meine Heimat. Mein Zuhause. Meine Leidenschaft. Hier bin ich sogar Stimmenkönig, weil ich 2019 bei der Stadtratswahl die meisten Stimmen aller Kandidaten aller Parteien holte. Der Dresdner Norden ist zurzeit der erfolgreichste Großstadtbereich der FDP. Wie man das schafft? Reden wir ein anderes Mal drüber. 

Die Arbeit für Dresden ist politisch das wichtigste, dass ich mache. Auch wenn es anstrengend ist so neben dem Beruf kann man mehr bewegen als im Landtag. Alles ist konkreter, näher dran, auch härter, weil man stets mit Kritik und Fragen konfrontiert ist und nicht nur ins Abstrakte abtauchen kann. Ich kümmere mich zurzeit um die Bereich Verkehr, Bau und Umwelt. Alles wird von den Grünen verantwortet. Klar, dass es da viel zu tun für mich gibt. Stadtbezirksbeirat in der Neustadt bin ich übrigens auch noch. 

Am 9. Juni 2024 wird ein neuer Stadtrat gewählt. Was ich dann mache, weiß ich noch nicht genau. Zu viel bewegt mich gerade und so wie bisher kann es in unserem Land nicht weitergehen. Irgendwie verspüre ich gerade den Geist von 89. Vielleicht ist es die Zeit und vielleicht sogar der Moment, mal was Neues zu versuchen.